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Von fünf auf achtundzwanzig | Amman | #3

Aktualisiert: 5. Apr. 2023

Habe ich in Istanbul gefroren, rinnt mir in Amman der Schweiss. In der Türkei waren es um die fünf, heute in Jordanien achtundzwanzig Grad.










Amman ist erschlagend schmutzig. Amman hat ein Abfallproblem. Staub, Müllberge, Abgase, Essensreste, verlauste Katzen überall. Ich musste lernen, darüber hinweg zu sehen und zu gehen. Dann eröffnet sich die Schönheit und Geschichte der jordanischen Hauptstadt.


Amman ist atemberaubend schön. Es war mir eine Freude, gestern in den antiken Gemäuern und zwischen den römischen Säulen der Zitadelle herumzuklettern und einen Weitblick über die Stadt zu gewinnen. Die Band Coldplay spielte während der Pandemie bei Sonnenaufgang und -untergang live von diesem historischen Plateau in die Welt. Der YouTube Clip konnte mich im Vorfeld der Reise für Amman begeistern. Und bei der Hipster Band, die ich bisher überhaupt nicht mochte, entdeckte ich ganz neue Töne und Spirits. Ja, ich kann eine vorgefasste Meinung durchaus ändern. Das stände vielen auch gut in Bezug auf das Virus. Zwei Jahre knechtete es uns. Halbherzig abgekratzte Distanzkleber und nicht kaputtbare Masken im Staub sind Zeugnisse einer seltsamen Zeit der Weltgeschichte. Wird dieses Kapitel irgendwann aufgearbeitet?


Im römischen Amphitheater spielten Jungs Fussball und die zehnjährige Myriam übte ein Gedicht. Ihre Schwester filmte sie vor der antiken Kulisse und die Mutter berichtete mir stolz, als ich sie neugierig darauf ansprach, vom Schulprojekt. Mir gefällt, dass alte Gemäuer belebt sind und Teil des Alltags sind. Familien machen hier Sonntagspicknick. Die zweitausend Jahre alten Gesteinsbrocken sind so solide, da braucht es keine künstlich errichteten Spielplätze.


Es sind immer die Alltagsgeschichte und die Menschen, die mich berühren. Ich sitze stundenlang und beobachte. Zuoberst in den Theaterreihen ist die Akustik so gut, dass alles von unten gehört wird. Ich lauschte einer Reisegruppe; zwei Dutzend Frauen in schwarzer Burka. In der Totalverhüllung ein einziges Kichern und Tratschen.


Ich trage auch Kopftuch. Weil es mich vor der Sonne und von zu vielen Eindrucken schützt. Als ich vor dreissig Jahren mit einem Marokkaner liiert war, trug er oft eine Wollkappe. Auch im Sommer. Er meinte damals jeweils, weil seine Antennen in der fremden Schweiz zu sensibel wären und er seine Kräfte beisammenhalten müsse. Mir geht es auch so, wenn ich reise. Ich trage Hut, Tuch, Sonnenbrille dosiert, je nachdem wie sensibel meine Haare, Ohren und Augen sind. Durch die wuseligen, lärmigen Strassen zwischen all den Autos und Strassenhändlern machte ich alles dicht, um heil ins Hostel zurückzukommen.


Heute bin ich dem Schatten nach und fand im Innenhof des Künstlerresorts Darat al Funun eine grüne Oase. Die Häusergruppe wurde von jordanischen, palästinischen, syrischen und libanesischen Familien in den 1920-1930ern gegründet. Es ist ein Zeitzeugnis von einem guten Zusammenleben und Ammans Geschichte. Ich fand Schönes fürs Auge, Spiel fürs innere Kind und gleichgesinnte kreative Geiste.


(3.-8. März 2023 | Jordanien)

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