In der Pilgerunterkunft von Madaba fand ich für zwei Nächte ein Lager. So blieb mir Zeit, das hübsche Städtchen ausgiebig zu erkunden. Der Ort hat den höchsten Christenanteil in Jordanien und ist berühmt für seine Mosaike. Hunderte filigrane Kunstbilder finden sich in der ganzen Stadt in öffentlichen und privaten Besitz. Die Mosaikkarte, die auf dem Boden der griechisch-orthodoxen St. Georgskirche eingelegt ist, hat weltweit einen hohen Stellenwert. Sie wurde im 6. Jahrhundert angefertigt und zeigt das östliche byzantinische Gebiet vom Libanon, dem Nildelta und Toten Meer und markiert die wichtigsten Pilgerstätten des Heiligen Landes und an beiden Seiten des Jordans. Man schätzt es auf 2.3 Mio. Steinchen und insbesondere die detaillierte Darstellung von Jerusalem macht das Mosaik zum wichtigsten Zeitzeugnis biblischer Stätten.
Bisher schenkte ich Mosaiken kaum Beachtung. Als ich jedoch die Darstellungen von Menschen und Engeln genauer studierte, erkannte ich die hohe Handwerkskunst. Mich verblüffte die Fertigkeit der Künstler, Muskeln, Gesichtszüge, Schatten und Stofffalten in raffinierten Details mit Ministeinchen darzustellen. Comics der Antike. Jesus Sixpack bei dem Bildnis, wie er übers Wasser geht, erheiterte mich sehr, weil ich an die heutige Jugend denken musste, die sich im Fitnessstudio und mit Proteinshakes solche Bodys antrainieren. Ich weiss nicht, ob es politisch korrekt ist, über Jesus Bauchmuskeln zu schmunzeln. Ich mag mir Gottes Sohn bei allem Respekt für seine heilige Mission gerne als stinknormalen Mensch vorstellen, der mit seinen Jüngerkumpels über Land zog, Geschichten mit Gehalt erzählte und gern herumalberte. Und möge er mit seiner Liebsten Maria Magdalena sinnliche Stunden genossen haben.
Jesus. Wer war dieser Mann aus Nazareth? Ich bin seit Kind fasziniert von seinen Gleichungen und den Wundern, die er bewirkte.. Dass er für die Liebe zu Gott, zwischen den Menschen und zu sich selbst warb, gefällt mir sehr. "Liebe dich selbst wie deinen nächsten." Es könnte so einfach sein. Mit dem Lieben wäre schon sehr viel Gutes für die Welt getan. Für mich ist die Liebe die einzige Religion und Jesus deren Pressesprecher und Wegbereiter. Eine Karawane der Liebe möge über den Planeten ziehen. Der Jerusalemweg, der mir die Ausrichtung für meine Nahostreise ist, ist ein Pfad der Liebe und des Friedens.
Womit ich mich bis heute schwer tue ist, dass Jesus für unsere Sünden gestorben sein soll und dass er in der christlichen Kultur vorwiegend am Kreuz dargestellt wird. Ich bekenne, dass ich mich weigere, mich als Sünderin zu sehen. Menschsein ist doch keine Sünde! Das Leben auf der Erde ein Geschenk. Die Sache mit der Sünde ist der Knackpunkt zwischen der Religion, in die ich hineingeboren wurde, und mir. Da kommen wir auf einen grünen Zweig.
Die Täuferkirche steht auf einer Erhebung und ihr begehbarer Glockenturm zogen mich an. Der Rundblick von dort oben über die Stadt im Mittagslicht war atemberaubend. Im Kirchenschiff und in der Krypta frischte ich die Geschichte von Johannes dem Täufer auf. Ich las, dass er zur Zeit von Herodes als Prediger das Kommen des Gottesreiches und eines neuen Königs prophezeite. Johannes taufte Menschen am Jordan, so auch Jesus. Der Täufer wurde ins Gefängnis gesperrt, weil er die Vermählung Herodes mit der Frau seines Bruders öffentlich kritisiert hatte. Aus anderen Quellen stammt, dass Herodes dessen Einfluss und die Macht fürchtete, weil er als Wegbereiter eines neuen Bewusstseins populär war. Herodes Stieftochter Salome durfte sich für ihre schönen Tänze etwas wünschen. Sie wollte den Kopf des politischen Häftlings Johannes auf einem Teller präsentiert bekommen. Ich betrachtete lange den aus Ton nachgebildeten Kopf auf der Schale in der Krypta, schüttelten meinen und dachte mir: „Schon damals mussten Vordenker den Kopf hinhalten. Und welche Willkür, dass so ein verwöhntes Gör über das Schicksal eines Menschen bestimmen konnte. Dumme und gelangweilte Leute dürften einfach nicht so viel Macht haben.“
Im schönen Vorhof der Kirche bat ich eine junge Frau, ein Erinnerungsfoto von mir zu machen. Eine Clique trat hinter sie, als sie mich knipste. Die jungen Leute schienen sich alle zu kennen. Ein Teenager rief mir zu: "Merry Christmas!" Als ich lachte und nachfragte, warum er mir im März "Frohe Weihnachten"" wünschte, dachte er kurz nach und korrigierte: "Do you marry me?""
Seine Kollegen klopften ihm auf die Schulter - Mutprobe bestanden - und wir prusteten alle los.
16.-18. März 2023
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