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Nach mir die Sintflut | Gestrandet in Amman | #7

Aktualisiert: 5. Apr. 2023

Die Regenfront war angesagt und überraschte mich nicht. Im Gegenteil, das Timing passte, denn an diesem Montag stand eine sechsstündige Busreise in den Norden an die syrische Grenze auf dem Plan. Mit Dösen und über dem Reflektieren der ersten beiden Reisewochen würde ich den Schauer und die lange Fahrt spielend überbrücken. Die Vorfreude auf den nächsten Host war gross. Mit Saladin war ich schon eine Weile über Facebook in Kontakt. Wir wollten Musik machen, er spielt Saz und ich wollte dazu singen und Percussion improvisieren. Auch das bei vorhergesagtem Regen am Dienstag ein schöner Zeitvertreib. Am Mittwoch wollte ich endlich die erste Etappe des Jerusalemweges unter meine Füsse nehmen.


Es bahnte sich schon beim Auschecken an. Hossam war ein eleganter Rezeptionist in meinem Alter, der während der ganzen Zeit meines Aufenthaltes in Aqaba über mein Wohlbefinden gewacht hatte. Als ich ihm den Schlüssel überreicht, schaute er mich mit besorgtem Blick tief in die Augen. «Please Rose, you should not drive. There is heavy rain in the north. Please, please, please (ja, er sagte dreimal mit Nachdruck “Bitte”) send me a text message, when you are safe in the north.“


Ich war gerührt über seine Sorge, ganz leicht verunsichert, ob er vielleicht doch zweideutige Absichten hatte, hielt kurz Zwiesprache mit meinem Bauchgefühl und als mir es grünes Licht gab, sagte ich zu Hossam: „Seien Sie unbesorgt, mir wird schon nichts passieren, ich werde im Norden erwartet und ich habe Pläne, voranzukommen.“ Aber ich gab dem freundlichen Mann das Versprechen, dass ich umgehend benachrichtige, wenn ich Irbid angekommen wäre.


Der Regen hatte inzwischen eingesetzt und ich nahm mir das erstbeste Taxi in der Strasse. Für zwei jordanische Dinar nahm ich den schlechten Zustand des Autos und den rauchenden Taxifahrer in Kauf. Eine für einmal unverschleierte Frau fuhr mit, die Beziehung der beiden war nicht erkennbar, sie rauchte und kaute Kaugummi gleichzeitig und nannte mich fortwährend Darling. Ich wollte einfach trockenen Fusses zum Busterminal.


Ich war frühzeitig genug, um noch kurz bei einem ATM Bargeld zu beziehen. Bei der Rückkehr in der Wartehalle wurde ich aufgerufen, umgehend zum Schalter zu gehen. Der Bus nach Irbid wurde wegen Überschwemmungen gestrichen und ich musste mich innerhalb von fünf Minuten entscheiden, ob ich den Bus nach Amman nehmen oder in Aqaba bleiben wollte. Nein, nicht zurück zu Hossam, sagte mein Bauchgefühl. Ich liess mir das Ticket umschreiben, reihte mich zügig in die Warteschlange. Nun denn Amman in Gottes Namen.


Mein Platz hatte die Nummer drei, erste Reihe rechts, Mittelgang. Zumindest Platz, frohlockte ich, stellte den Tagesrucksack und den Proviantbeutel auf Sitz Nummer zwei, schaute den einsteigenden Mitreisenden zu und mir stockte das Herz. Hossam betrat gerade den Bus und lächelte mich verlegen an, als er mich sah. Das «Nein!» blieb mir in der Kehle stecken. In ein paar Sekunden kann in meinem Kopf ein ganzer Kinofilm laufen.


Hossam drückte sich auf den Führerplatz, wedelte mit seinem Handy, zwischen ihm und mir quetschen sich zusteigende Passagiere durch den Gang. Ich liess ihn nicht zu Wort kommen, versicherte, dass ich in Sicherheit wäre, ich nach Amman führe und ich keine Begleitung bräuchte. Hossam lächelte unentwegt und als ich ihm endlich zuhörte, begriff ich, dass er versucht hatte, mich anzurufen, weil ich vergessen hatte zu bezahlen. Mein Gesicht überzog sich mit einem peinlichen Rot, ich grapschte schnell die eben bezogenen Scheine aus der Hosentasche, überreichte sie ihm und war erleichtert, dass er danach zurück in die verwaiste Rezeption fuhr.


Ich war noch mit meiner Scham beschäftigt, als mir eine füllige Frau auf die Schulter tippte und ihr Recht auf Platz Nummer zwei in Anspruch nahm. Sie machte mir mit Augenzeichen sehr deutlich, dass ich meine zwei Gepäckstücke nicht auf dem Schoss, sondern im Gepäckfach zu unterbringen hatte. Ihre Resolutheit duldete keine Widerrede. Also stand ich auf, schob meine Habe in die Ablage und erntete vom Chauffeur und den immer noch Zusteigenden ernste Blick. Ich setzte mich zügig wieder und bemerkte, dass die Leibesfülle der Frau zehn Zentimeter meines Sitzes belegte.


Es war kein freier Platz zum Ausweichen auszumachen. Der Reisecar war rammelvoll und ich ergab mich meinem Schicksal. Immerhin roch meine Sitznachbarin weder nach Schweiss, noch nach Parfum. Es gibt doch immer etwas Erfreuliches.


In Aqaba betrug die Temperatur um die Mittagszeit fünfundzwanzig Grad und machten mit dem Regen das Klima im Bus sehr tropisch. Ich war barfuss, trug nur eine dünne Bluse und eine leichte Leinenhose, der Schweiss rann mir die Schläfen und den Rücken hinunter. Wegen der tropischen Zustände und der Wärme meiner Nachbarin. Die Fenster waren beschlagen und der Buschauffeur war eine Weile beschäftigt, die Frontscheibe frei zu wischen, bevor er endlich bei strömenden Regen losfuhr. Die grosse Scheibe war für den kleinen Fahrer während der ganzen Reise die grösste Herausforderung. Oder die Touristin, die sich nicht an seine Anweisungen hielt.


Nach wenigen Kilometern beschlug die Scheibe erneut, unser Chauffeur wischte im Stehen, während eine Hand am Lenkrad blieb, mit einem schmuddeligen Lappen einen kleinen Kreis frei und drehte gleichzeitig die Aircondition hoch. Der Temperatursturz bescherte mir Gänsehaut und ich stand auf, um mir den Wollpulli und Socken aus dem Rucksack zu holen. Der Fahrer fuhr herum und schimpfte auf Arabisch. Ich verstand, dass ich mich sofort setzen sollte.


Wir waren keine halbe Stunde unterwegs, mussten wir alle bei einem überdachten, verwaisten Platz im Niemandsland aussteigen. Ich schaute fragend in die Runde. Eine junge Frau übersetzte, dass an diesem Checkpoint alle Gepäckstücke kontrolliert wurden. Also hievten alle ihre Koffer und ich meinen zwölf Kilo schweren Wanderrucksack aus dem Unterdeck. Bis unser Fahrer «Yalla! Yalla!» rief. Inzwischen weiss ich, dass es «Vorwärts vorwärts!» heisst, aber ich verstand wieder nicht warum. Der Fahrer drückte seine Zigarette auf dem Boden aus und sagte: «Check, finished.» Also verstauten alle ihre Habe unkontrolliert in den Bauch des Buses zurück, reihten sich im Gänsemarsch zurück zu ihren Sitzen.


Ich nutzte die Gelegenheit, meine Teeflasche und ein paar Salzstängel aus dem Proviant zu klauben, denn mein Magen begann plötzlich zu rumoren. Die Gurken vom Frühstücksplättchen, mutmasste ich. Natürlich mussten sich ein paar der hinteren Plätze an mir vorbeidrücken. Aber das ist doch Part oft the game beim Reisen, nicht? Als die vordersten Reihen lachten und ich um mich blickte, verstand ich, dass der Fahrer sich über mich lustig machte. Ich setzte mich, schmunzelte und bekam ein Lächeln meiner Sitznachbarin geschenkt. Das machte es dann irgendwie gemütlich. Ich entspannte meine Popacken und plötzlich störte es mich nicht mehr, dass sich unsere Körper aneinander wärmten. Wenn der Chauffeur an seiner Mikroklimapolitik festhielt, wäre ich am Ende sogar froh um den Heizkörper neben mir.


Es wurde noch frostiger. Für Klarsicht und seinen Rauchzwang schob der Fahrer das Seitenfenster auf, mir blies es strategisch ungünstig sitzend den vollen Fahrtwind und Qualm ins Gesicht. Als mir die Zähne klapperten, stellte ich mich bei voller Fahrt in den Gang, holte aus der Ablage meinen Wollponcho, den ich als Reserve in petto hatte, erntete erneut eine Schimpftirade des Chauffeurs und das Gelächter meiner Mitreisenden. Ich kuschelte mich in das segensreiche Tuch und neben meiner Wonnefrau ein und es war mir ein Nickerchen vergönnt.


In der Halbzeit gab es eine Pinkelpause, ich nutzte sie dankbar und nahm die Chips, die sich meine Nachbarin gekauft hatte, als Friedenszeichen gerne an, obwohl mein Magen inzwischen rebellierte.


In Amman angekommen, war ich so fertig, dass ich nur noch ins nächste Hotel wollte. Seven Roses lag ums Eck des Busterminals, klang wunderbar. Als ich mich an der Rezeption vor Bauchgrummeln krümmte und es mich fröstelte, dachte ich: «Nach mir die Sintflut.», als mich die Nacht ein ganzes Wochenbudget kostete. Es war nur noch die Juniorsuite frei. Der Page trug mir alles Gepäck ins Zimmer, ich hatte Tränen in den Augen, als ich die Badewanne sah. Im vollen Schaumbad taute ich wieder auf. Die Gemüsesuppe kürte ich als die Beste meines Lebens, weil sie meinen Bauch und meine Seele wärmte. Ich fläzte mich im weissen Laken des Bettes, indem locker Vater, Mutter, Knirpse Platz fänden und dachte, dass ich am liebsten nur noch in Hotels der Kategorie der sieben Rosen absteigen würde. Weil es einfach klasse hatte und mir für eine Nacht Luxus, Schönheit und Wohlbefinden schenkte. Im Wohlgefallen schickte ich Hossam die versprochene Message und entschuldigte mich für das Versehen. Ich bin doch keine Zechprellerin. Hossam schickte mir ein Herzchen zurück.


Ich schlief wie ein Bär, erwachte jedoch mit Kopf- und Gliederschmerzen. Zur Darmgrippe hatte ich mir auch noch eine fette Erkältung geholt. Eine zweite Nacht in dieser Oase konnte ich mir beim besten Willen nicht leisten. Ich fand ein Schnäppchen auf Booking.com. Das Hotel Gerasa liegt an einer stark befahrenen Stadttangente. Schon beim Betreten wird der Gast mit einem Duftpotpourri von süssem Parfum und synthetischem Lufterfrischer eingehüllt. Der Super-GAU war jedoch, dass mein Zimmer zum Innenhof lag, der wie ein Schacht Gerüche und Geräusche verstärkte. Zwei Festlichkeiten wurden abgehalten und die aufgedrehten Bässe der Tanzmusik trommelten an meinen Schädel und wummerten im eh schon schwachen Magen. Morgens um vier waren meine Sinne heillos überfordert, ich im Verlust um meine Souveränität einfach nur fertig. An diesem Tiefpunkt meiner Reise war ich versucht, ins nächste Taxi zu steigen und zum Flughafen zu fahren.


(13.-15 März 2023 | Jordanien)










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