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Die Wärme der Frauen | Istanbul | #2

Aktualisiert: 5. Apr. 2023

Nun bin ich also tatsächlich aufgebrochen. Ich plante meine Herzensreise im Januar und buchte die Flüge. Der Orient ruft mich seit ich als Mädchen von den Märchen aus 1001 Nacht hörte und gebannt den biblischen Geschichten lauschte. Vor der Familiengründung waren mir Reisen nach Marokko und Ägypten vergönnt. Jetzt rufen Istanbul, Jordanien, Palästina und Jerusalem. Eine Reise quer durch den Schmelztiegel der Religionen und Kulturen. Ein grosses Wegstück möchte ich zu Fuss gehen. Auf dem Friedensweg nach Jerusalem.


Dann bebte die Erde Anfang Februar heftig. Das Leid in der kurdischen Grenzregion Südtürkei, Nordsyrien ist unfassbar. Ich trauere mit den Opfern und bin stockwütend über die fortwährende Waffengewalt der Militärs und Oppositionellen in der Region. Wie können die nur? Immer noch? Im Iran werden immer noch Menschen auf offener Strasse zusammengeschlagen, eingesperrt, hingerichtet, die ihre Stimme für Menschenrechte erheben. In der Ukraine jährte sich der Krieg. Eine grosse Friedenskundgebung in Berlin fand in den Medien kaum Erwähnung.


Ich zweifelte: Warum diese Reise? Jetzt? Bei den Gefahren und in dieser unsicheren Weltkonstellation. Es ist eine Herzenssache, eine Sache zwischen "Gott" und mir. Wenn ich zu Hause bleibe, wird kein Erdbebenopfer wieder lebendig und meine Familie gibt mir den Segen.


Istanbul ist nun also meine erste Station. Leider werde ich nicht warm. Es liegt nicht an fehlender Gastfreundschaft oder Faszination an der Stadt, sondern daran, dass ich eine kalte und windige Woche erwischt habe. Wenn ich an die letzten drei Tage zurückdenke, fällt mir auf, dass ich getrieben bin, Wärme und die Gesellschaft von Frauen zu suchen. Wie heute auf der Bosporus Tour bei der Mama von drei Teenagern. Ich habe kein Wort mit ihr gesprochen, aber ich fühlte mich einfach wohl in ihrer Gesellschaft. Auch suche ich lieber Lokale, wo Frauen verkehren, in den Moscheen setze ich mich zu den Muslimas und bete mein eigenes Mantra.


Die Stadt ist ein Juwel. Die Hagia Sophia ein Wunderwerk. Die Basare sind ein Gewusel aus Menschen, ein Duftpotpurri, ein Glitzern und Glänzen. Ich werde nicht satt von schönen Stoffen und Teppichen, mit denen ich ein ganzes Haus einrichten könnte. Die Menschen sind überaus freundlich und hilfsbereit, wenn ich um Rat frage.


Ich würde gerne im Freien bummeln, sitzen, verweilen, schauen. Ich bedauere, dass ich mich wie auf der Flucht durch die Strassen bewege, weil ich friere. Mein Rucksack sollte wegen der Wanderung von Jordanien nach Jerusalem nicht zu viel wiegen. Deshalb habe ich nebst leichten Stoffen nur 1 dünne Regenjacke, 1 Wollpulli, 1 LangarmShirt, 1 Wollmütze und 1 Thermounterhose für kalte Nächte eingepackt. Dies alles trage ich jetzt in Schichten. Tag und Nacht. Weil auch das günstige Hotelzimmer nicht wesentlich beheizt ist.


In die Flucht schlägt mich auch die ewig gleiche Frage von Männern: "Where do you come from?" Inzwischen gebe ich keine Antwort mehr. Oder ich erfinde irgend ein exotisches Land. Oder rede zu meiner Belustigung eine erfundene Sprache.


Viel Wärme und Zuwendung bekam ich gestern im Hamam. Sauna, Dampfbad, Bürsten- und Seifenmassage - ganzes Programm. Ich konnte nicht aufhören zu lächeln, wie mir im Türkischen Bad eine knapp zwanzigjährige Philippinin, die mir bis zum Kinn reichte, die meine Tochter hätte sein können, liebevollst Ohren, Augen, Haare und den Rest trockenrieb und mich in warme Frottétücher packte. Auch mit ihr konnte ich kein Wort reden. Aber Wärme schenken versteht sich.


(27.2.-3.3.2023 | Türkei)












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